Wenn der Computervirus Medizin braucht...

Fast täglich bringt meine Tochter (7) kleine Schätze mit. Sie findet sie im Unterricht im Klassenraum, auf Plakaten am Straßenrand, zwischen den Seiten von Büchern oder in Gesprächen auf dem Schulhof. Neue Worte. Wir klopfen sie dann zusammen ab, auf Klang, Beschaffenheit und Bedeutung: Intelligent, Toleranz, Sex und Timbuktu sind solche Mitbringsel. Verwirrend wird es erst, wenn altbekannte Worte plötzlich in einer ganz anderen Umgebung auftauchen. Wie ein Virus im Computer.

„Sprache ist ein mächtiges Instrument. Wie ich die Dinge bezeichne, bestimmt mit, was andere darüber denken. (…) Worte sind nicht bloß Transportmittel, sie wecken Erwartungen und Erinnerungen“, schreibt Claudia Wüstenhagen im „Zeit“-Artikel „Große Worte, subtiler Einfluss“. Die Erinnerungen, die mein Kind bisher an Virus knüpft, sind Fieber, Husten und Medizin.

Seit Maria ein eigenes virtuelles Postfach hat, will ich sie auch für unerwünschte Mails sensibilisieren. Als eine Spam-Mail bei mir landet, lese ich sie laut vor: Angeblich soll ich 450000 Euro erben. „Und wo ist das Gefährliche“, will mein Kind wissen. „Sie verlangen meine Adresse und meine Daten.“ „Und was ist daran schlimm?“ Ich erkläre Maria, dass damit jemand in meinem Namen Sachen bestellen kann, die ich dann bezahlen muss, obwohl ich sie nicht bekomme. Dass ich das nicht will, leuchtet ihr ein. Dann sage ich ihr, dass solche Mails machmal auch Viren haben und den Computer kaputt machen können. Da fragt Maria: „Gibt es dagegen keine Medizin in der Apotheke?“ Vor meinem inneren Auge sehe ich den Laptop mit Heftpflaster übersät, die Tastatur von Hustensaft verklebt: „Nein!“ „Aber ist doch ein Virus“, meint meine Tochter ehrlich überrascht.

Eigentlich hat sie Recht: Bis 1983 stand das Lateinische Gift für Infektionskrankheiten (und einige laute Musikbands). Damals brachte der Informatikstudent Fred Cohen ein sich selbst reproduzierendes Computerprogramm mit in die Vorlesung von Leonard Aledeman an der University of Southern California (USC). Der Professor für Informatik und Molekularbiologie war der erste, der diesen schädlichen Code mit einem Virus verglich. Cohen schrieb kurz darauf seine Doktorarbeit über „Computerviren“. „Die Macht der Worte entfaltet sich richtig, wenn es ihnen gelingt, einen ganzen Kosmos von Assoziationen zu erzeugen“, so die „Zeit“. Kein Wunder, dass der „Computervirus“ bald die ganze Welt infiziert hatte: Auch wer nicht wusste, wie eine Festplatte aussah, verstand durch den Begriff: „Gefährlich und ansteckend!“

Und die Medizin dagegen? Die gibt’s als Antivirus-Programm oder beim Computerdoktor unseres Vertrauens.