Als ich noch den Sandmann schaute, hieß es regelmäßig: „Hast du Kummer oder Sorgen, schreib gleich morgen an Frau Puppendoktor Pille mit der großen klugen Brille.“ Später bot sich „Doktor Sommer“, der imaginäre Aufklärer der Jugend-Zeitschrift „Bravo“, als helfender Adressat für Sorgen und Kummer an. Hundertausende Briefe erreichten „Dr. Sommer“, ein Experten-Team aus Psychologen, Ärzten und Pädagogen.
Ich konnte mich mit meinen Sorgen an meine Eltern oder Freundinnen wenden und habe weder Frau Puppendoktor Pille noch dem Bravo-Team geschrieben - aber oft interessiert die Antworten gelesen. Die Teenager-Fragen drehten sich damals meist um Liebesdinge und Sex. Zumindest Letztere kann man heute mit wenigen Klicks im Internet beantworten. Und „Dr. Sommer“ ist nur noch ein Schatten seiner selbst, seit 2014 das Fachteam eingespart wurde. Wem können Jugendliche in Zeiten von Sexting und Smartphone schreiben, wenn sie Rat brauchen? An wen sich wenden, wenn die Eltern auf Fragen wie „Was kann ich tun? Ich werde jeden Tag bei Whatsapp in meiner Klassengruppe gemobbt“ oder „Mein Facebook-Profil wurde gehackt. Was muss ich machen?“ keine Antwort wissen?
Eine Möglichkeit bietet die Internetseite „Juuuport“, eine Selbstschutz-Plattform von Jugendlichen für Jugendliche. Dort beantworten 20 sogenannte Scouts die Mailanfragen. „Alle Scouts werden von Experten in den Bereichen Recht, Internet und Psychologie geschult“, erklärt mir Juuuport-Scout Adrian Jagusch am Rande der 3. Netzwerktagung Medienkompetenz in Halle/Saale. Die Ratgeber der Kummerkästen des digitalen Zeitalters sind zwischen 15 und 21 Jahre alt, kommen aus ganz Deutschland und arbeiten ehrenamtlich vom heimischen Computer aus. Jugendliche können ihnen per Mail ihre Sorgen schreiben und bekommen eine persönliche, kostenlose Online-Beratung. Peer-to-Peer (vom Englischen peer „gleichgestellt“, „ebenbürtig“) heißt diese Form der Hilfestellung. Deren Vorteil liegt für Adrian Jagusch klar auf der Hand: „Wir haben die gleichen Lebenswelten und verstehen die Betroffenen. Wir kommen nicht mit Internetverboten oder erhobenem Zeigefinger daher.“
Immer häufiger geht es bei den Hilfe-Anfragen um Cybermobbing. „Vor 10 oder 20 Jahren hatte man beim Mobbing in der Schule noch die Möglichkeit, zu Hause abzuschalten. Das ist heute anders.“ Die Scouts bieten neben Verständnis auch konkrete Tipps zum Melden oder Löschen und raten wie man sich bei Eltern, Lehrern oder Beratungsstellen Hilfe holt. „Ganz harte Fälle wie Suizidankündigungen leiten wir an unseren Psychologen weiter.“ Wenn jemand lieber reden statt mailen will, wird er an die „Nummer gegen Kummer“, die kostenfreie Beratungshotline für Kinder, Jugendliche und Eltern vermittelt.
Doch im Normalfall versuchen die Scouts mit den Jugendlichen unter sich zu bleiben. Allerdings teilen sie ihr Leid und die Ratschläge auch. Nicht in einer Zeitschrift, sondern auf der Juuuport-Internetseite im „fooorum.“ Dort will ich ab jetzt, genau wie damals bei Frau Puppendoktor und bei Doktor Sommer, regelmäßig reinklicken und die Antworten interessiert mitlesen. Um zu wissen, welchen Sorgen auf meine Tochter zukommen können. Und, was ich ihr raten kann.