Wann ist zu viel wirklich zu viel?

Eltern und Kinder können extrem unterschiedliche Wahrnehmungen haben. Während ich Minuten und Stunden als statische Größe sehe, ist Zeit für Maria eine dynamische Kategorie. Zwei Stunden mit Freundinnen spielen kann in ihrer Welt kürzer sein als die drei Minuten Zähne putzen. Ähnliches wird ihr bald passieren, wenn sie mal eben kurz WhatsApp und Instagram checken will. Dann werde ich mir Sorgen machen, weil sich mein Kind stundenlang übers Smartphone beugt.

Denn aus Elternsicht ist die exzessive Mediennutzung an Zeit gebunden. Zumindest was digitale Medien betrifft. Bei analogen Informationsträgern sind wir großzügiger. Ich kenne jedenfalls niemanden, der seinem Kind verbieten würde, mehr als eine Stunde am Tag Bücher zu lesen. Kommen die Geschichten und Ablenkungen aus dem Internet, wird es kniffliger. Wann ist zu viel wirklich zu viel? Wann wird aus Unterhaltung Knechtschaft?

Die Medienpädagogin Julia Rommeley hat dazu 30 Jugendliche interviewt. Das Ergebnis ihrer Masterarbeit „Exzessive Mediennutzung von Jugendlichen: Analyse der subjektiven Perspektive Jugendlicher auf problematischen Medienumgang“: Die Befragten 14- bis 18-Jährigen messen digitale Abhängigkeit nicht in Zeit, sondern in Gefühlen.

Die „Übertreiber“ sind „einsam, getrieben, gestresst, unsicher und angespannt.“  Wer sich auf der Suche nach Anerkennung in die virtuelle Welt zurückzieht; immer Angst hat, online etwas zu verpassen; auf jeden Post antwortet, um dazuzugehören - den rücken sie in die Nähe eines Junkies. Wer auch Zeit mit Freunden und Familie verbringen kann, ist in ihren Augen normal, selbst wenn er stundenlang in Chats oder Computerspiel-Welten abhängt. Nicht die Dauer der Nutzung, sondern das Fehlen analoger Schutz-Häfen birgt demnach das größte Suchtpotential. Zu viel bedeutet eigentlich zu wenig. Zu wenig Selbstvertrauen, zu wenig Geborgenheit, zu wenig Anerkennung.

Statt mir über Zeitfenster Gedanken zu machen, sollte ich wohl besser überlegen, wie ich für Maria einen Leuchtturm bauen kann, damit sie später bei ihren digitalen Abenteuern immer wieder in den analogen Hafen zurückfindet!