„Ein widersprüchliches Phänomen, das zwei gegensätzliche Strömungen hervorbringt“, so nannte der Journalist Ryszard Kapuściński die Globalisierung, als er 2002 an der Universitat Autonoma de Barcelona sprach. Ich saß in seinem Vortrag und hätte die globalisierte Welt in diesem Moment umarmen können. Ich arbeitete als freie Journalistin für die mexikanische Nachrichtenagentur Cimac, studierte in Spanien Politikwissenschaften und traf dort zum ersten Mal den bekannten polnischen Reporter, der Salvador Allende, Che Guevara und den Schah von Persien kennengelernt hatte, und dessen Bücher mich stets begleiteten.
Kapuściński meinte, die Globalisierung sei wie ein Fluss mit zwei entgegengesetzten Strömungen. Auf der einen Seite neue Technologien, weltweiter Handel, globaler Austausch. Und gleichzeitig eine starke rückwärtsgewandte Strömung zu Nationalismus, Patriarchat, Spannungen zwischen unterschiedlichen Volksgruppen.
Als wir uns nach seinem Vortrag unterhielten, meinte Kapuściński, es sei vor allem Angst, Verunsicherung und Unwissenheit, die Menschen für diese rückgewandte Strömung anfällig mache. Deshalb sollten wir nicht urteilen, sondern reflektieren. Nicht belehren, sondern aufklären. Die gegebenen Umstände nicht bekämpfen, sondern versuchen, zu gestalten.
Inzwischen ist neben der Globalisierung mit der Digitalisierung ein weiterer Fluss gewachsen, der genauso widersprüchliche Strömungen mit sich führt. Beide zusammen sorgen gerade für heftige Verwirbelungen und unberechenbare Strudel. Im digitalen Storm bilden sich dazu Echo-Räume, sogenannte Filterblasen, die die eigenen Ansichten verstärken und Vorurteile an die Oberfläche schwemmen.
Die Angst wächst. Aber auch die Bewegung der Aufklärung.
So hatte ich vor kurzem wieder einen dieser Kapuściński-Momente. Diesmal in Erfurt. Beim Barcamp „Kinder Jugend Medien“. Eine offene Konferenz rund um das Thema digitale Kommunikation, bei der sich jeder einbringen und Vorträge oder Workshops zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der neuen Medien halten kann. Unter anderem erzählte Moderator Tim Gailus vom KiKa-Medienmagazin für Grundschüler wie er mit den „Timster“-Zuschauern ein Online-Spiel entwickelte. Michelle Benzing verriet, wie sie bei Radio Rüsselsheim mit der Sendung “PEP – Politik einfach Präsentiert” Kinder und Jugendliche für Politik begeistert. Spiele-Apps für den Unterricht wurden vorgestellt und Quizstunde, eine Online-Plattform auf der Lehrer (noch) kostenlos Frage-Antwort-Spiele mit ihren Schülern erstellen können. Vom Verein "Anders Sehen" wurden Bilderbücher für blinde Kinder herumgereicht (ein schöner Artikel dazu bei Kinderohren).
Auch die dunkleren Facetten der neuen Medien wurden beleuchtet: Der Kriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger referierte so spannend über die Gefahren von Hatespeech und Cybergrooming bei Onlinespielen (hier nachlesen), dass die Zuhörer fast die Mittagspause ausfallen ließen. Anwalt Peter Hense sprach über digitales Spielzeug wie „Hello Barbie“ und ihre Nebenwirkungen auf die Privatsphäre. Dabei wurde die Digitalisierung nicht verteufelt. Vielmehr ging es um Aufklärung und die Suche nach hilfreichen Werkzeugen. Wie bei Kapuściński: Die gegebenen Umstände nicht bekämpfen, sondern analysieren und versuchen, zu gestalten.
Das Erfurter Barcamp ist Teil einer neuen Macher-Kultur. Ich würde mir wünschen, dass diese Bewegung mindestens die gleiche mediale Aufmerksamkeit bekommen würde, wie die Digital-ist-schlimme-Droge-These eines Manfred Spitzers. Dass sie dann nicht in Talkshows gegeneinander aufgehetzt werden, sondern endlich eine gemeinsame Debatte darüber beginnt, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen. Damit, wenn unsere Kinder erwachsen sind, „Die Welt ist unsere Burg“ zum geflügelten Wort wird und nicht „My Bubble is my Castle“.
Einen Artikel über den Ablauf des Barcamps gibt es bei Medienbewusst. Foto: @BarCampErfurt