Computer in Kinderhände!


Wenn ich anderen Eltern erzähle, dass unsere Tochter seit der Schuleinführung ein eigenes Tablet hat, bekomme ich als Reaktion selten Zuspruch, kaum Verständnis und viel Ablehnung. „Dafür ist sie doch viel zu jung“, ist eines der Hauptargumente gefolgt von „Dann hat sie ja gar keine Kindheit mehr“ und „Computer gehören NICHT in Kinderhände“. Ich glaube aber, genau dort gehören sie hin! Denn noch saugt die Kleine alles wie ein Schwamm auf und ist bereit, unseren Ratschlägen und Normen zu folgen. Wenn sie auch nur ein bisschen nach ihrer Mutter kommt – und das tut sie – wird sich das mit der Pubertät schlagartig ändern.

Ich hatte mich im Alter von elf Jahren selbst zur Adoption freigegeben, weil meine Mutter auf die Idee kam, ich müsse eine Mütze tragen. Im Winter! Das mit der Adoption klappte nicht und ich musste die blöde Mütze aufsetzen – zumindest bis zur nächsten Straßenecke. Dann hab ich mir das Ding vom Kopf gerissen und in den Ranzen gesteckt. Damals ging es nur um ein paar Mittelohrentzündungen. Heute steht mehr auf dem Spiel.

Drei von vier Jugendlichen haben inzwischen schon ein eigenes Smartphone, so das Ergebnis einer Umfrage des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest unter zwölf- bis 19-jährigen. Beliebteste Apps sind WhatsApp und Facebook. Dessen Chef, Mark Zuckerberg, hat gerade Milliarden für das App „Snapchat“ geboten. Der „Clou“ an diesem bei US-Jugendlichen unheimlichen beliebten Dienst ist, dass man Fotos und Videos verschickt, die sich nach zehn Sekunden selbst zerstören und - theoretisch - nicht gespeichert werden können. Die gute Nachricht daran ist, dass es jetzt zum Grundkonsens in der digitalen Welt gehört, dass gepostete Party-, Blödel- oder Nacktbilder einem auf lange Sicht das Leben schwer machen können. Die schlechte Nachricht ist allerdings, dass sich Menschen in der falschen Sicherheit wiegen, schräge Schnappschüsse verschicken zu können ohne das es Folgen hat. Denn in Wirklichkeit braucht man mit dem Smartphone nur ein Bildschirmfoto zu machen - und schon hat man das angeblich zerstörte Peinlich-Bild für alle Ewigkeit. Wenn man dann noch weiß, dass unter Teenagern gerade „Sexting“ weit verbreitet ist – das heißt die Jugendlichen schicken sich als Liebesbeweis gegenseitig erotische Fotos von sich selbst – dann möchte man sein Kind wahrscheinlich am liebsten gar nicht mehr ins Netz lassen. Aber das geht nicht.

Und jetzt stelle ich mir vor, dass ich meiner schwer verliebten fünfzehnjährigen Tochter erkläre, sie soll keine aufreizenden Bilder an ihren Tom (oder wie auch immer er heißen wird) schicken, weil der sie damit mobben könnte, wenn mal Schluss ist. Sie wird sich vermutlich zur Adoption freigeben – und das Foto an der nächsten Straßenecke abschicken.

Ich hätte als 15-Jährige einen Tag nach dem Mauerfall mit meiner Familie nach Berlin fahren können. Aber ich blieb lieber Zuhause in Brandenburg und wartete auf meinen Freund. Dass ich damit einen, wie meine Eltern mehrfach anmahnten, historischen Moment verpasste, war mir damals ziemlich schnuppe. Heute könnt ich mich dafür in den Hintern treten. Dass meine Tochter eines Tages das gleiche wegen eines erotischen Fotos denkt, will ich unbedingt verhindern. Und genau deshalb fangen wir jetzt an. Mit unserer Erstklässlerin. So haben wir einige Jahre Zeit ihr die Regeln, Konsequenzen und Gefahren der digitalen Welt zu erklären. Damit unsere „Digital Native“ als weise Eingeborene die virtuellen Sphären erkundet und wir uns hoffentlich nur in der analogen Welt übers „Mütze tragen“ streiten müssen.