Früh übt sich, was kein Castingkandidat werden soll

Im Internet geht gerade die Nachricht von Tyler Armstrong um die Welt. Der Neunjährige (!) hat als jüngster Mensch den 6962 Meter hohen Berg Aconcagua in Argentinien bezwungen. Ein Kind als Rekordmacher. BESSER, SCHNELLER, WEITER – diese Begriffe treten mit der Grundschule auch stärker in Marias Leben. 

Konkurrenz ist jetzt nicht mehr nur Teil eines Spiels, sondern ein Maßstab für ihre tägliche Arbeit. Da ist die Banknachbarin, die Buchstaben schneller schreibt, oder der lächelnde Stempel unter den Aufgaben, die Maria besser gerechnet hatte als am Tag zuvor.

Ich bin mit Schulnoten und leistungsorientiertem Lernen groß geworden und habe nicht das Gefühl, dass es mir geschadet hat. Allerdings war damals die Welt außerhalb der Schule auch noch keine große Castingshow. Für singebegeisterte Kinder gab den Chor und für anders Interessierte  verschiedene Arbeitsgemeinschaften und nicht eine ganze Wettbewerbsindustrie.

Es heißt, kleine Kinder brauchen Wurzeln, große Kinder Flügel. In meiner Wurzelzeit lernte ich, dass der Einzelne die Gemeinschaft braucht und eine Kette nur so stark  ist wie ihr schwächstes Glied. Und dass die Starken auch die Schwachen mitzuziehen und stärker machen sollen. So gab es beim Waldlauf nicht nur für den Schnellsten Medaillen, sondern auch für das Team, das als erstes geschlossen durchs Ziel kam.

In Zeiten von Castingshows und Kinderrekorden möchte ich meiner Tochter unbedingt mit auf den Weg geben, dass der Sieg nicht alles ist. Dass die Gemeinschaft zählt, so wie bei Schwarmbewegungen im Internet, wo sich Millionen mit Online-Petitionen für Schwächere einsetzen. Auch der neunjährige Tyler hätte den Aufstieg ohne sein Team nicht geschafft.

Momentan versuche ich zusammen mit meinem Mann, dem Konkurrenzdruck der auf Maria lastet, die Luft abzulassen. Wenn unsere Tochter klagt, dass ihre Banknachbarin schneller war, sagen wir ihr, dass es okay ist. „Wichtig ist, dass was du tust, so gut wie es dir möglich ist, zu machen. Jeder hat sein eigenes Tempo!“

Und wir sagen ihr, dass wir sie lieben - so wie sie ist!