Mit zehn Jahren schon volljährig?

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Ich bin über einen Begriff gestolpert, der mich nicht loslässt: „Digitale Volljährigkeit“. In der realen Welt an Lebensjahre gebunden, scheint sich das „Erwachsensein“ im Virtuellen über Konsum und Bedienung zu definineren. „Die digitale Volljährigkeit beginnt heute ab 10 Jahren“, hieß es bei der Vorstellung der aktuellen KidsVerbraucherAnalyse. Bei der Befragung im Auftrag des Egmont Ehapa Verlags kam heraus, dass neue Medien bei Kindern immer mehr zum täglichen Leben gehören. So sind bei den Zehn- bis Dreizehnjährigen 97 Prozent im Internet unterwegs. Fünf Jahre zuvor waren es erst 84 Prozent.

Aber sollte man dem Nachwuchs deshalb das Etikett „Digitale Volljährigkeit“ anheften? Laut Süddeutscher Zeitung stammt diese Wortschöpfung aus der Marktforschung. Was Sinn machen würde, denn schon in jungen Jahren haben Schüler Taschengeld, Smartphone, Internetzugang. Sie sind als Zielgruppe interessanter denn je. Vollwertige Konsumenten? Vielleicht. Aber volljährig?

Eigentlich ist Volljährigkeit doch der Zeitpunkt, ab welchem man die volle Verantwortung übernehmen muss. Fürs eigene Leben, die eigenen Entscheidungen, die eigenen Handlungen. Sind Zehnjährige dazu in der Lage? Das zumindest suggeriert „Digitale Volljährigkeit“.

Solche Phrasen können mit der Zeit zu allgemeingültigen „Wahrheiten“ werden. Wie das Prädikat „digitaler Eingeborener“ (Digital Natives). Es tauchte zum ersten Mal 1996 in Davos auf. Dort erklärte der frühere Grateful Death-Texter und Internetaktivist John Perry Barlow die „Unabhängigkeit des Cyberspace“ als Zivilisation des Geistes, ohne Vorurteile, ohne Regierung. Sinngemäß sagte er: „Ihr fürchtet Euch vor Euren eigenen Kindern, weil sie Eingeborene sind in einer Welt, in der Ihr stets Einwanderer bleiben werdet.“

Die Fremden, die „Digital Immigrants“, sind alle Jahrgänge vor 1980. Die danach geborenen gelten als „Digital Natives“. Ureinwohner - das klingt nach Bewahrer der Tradition, nach Hüter der Geheimnisse. Übertragen auf die virtuelle Welt, nach Wissen um die Gefahren und verantwortlichen Umgang mit dem World Wide Web. Inzwischen gibt es Debatten darüber, ob der Begriff „Digital Native“ als Bezeichnung für die Generation Internet & Smartphone nicht irreführend ist, weil in ihm unterschwellig diese Kompetenz mitschwingt.

Unbestritten ist, dass Kinder die neuen Kommunikationmittel mit spielerischer Leichtigkeit bedienen. „Sechsjährige verstehen die neuen Technologien besser als mancher Erwachsener“, erklärte jetzt die britische Medienaufsichtsbehörde (Ofcom). Mithilfe eines „Digital Quotient“ (DQ) wurden die Fähigkeiten im Umgang mit Tablet und Smartphone verglichen. Sechsjährige kamen demnach auf 98 Punkte, die über 45-jährigen auf weniger als 96 Punkte. Meine Altersgruppe lag gleich auf mit den Zehnjährigen (106). Reicht das also um von „Volljährigkeit“ zu sprechen?

Meiner Meinung nach nicht. Ich möchte nicht, dass meine Tochter schon in drei Jahren als „digital volljährig“ gilt. Ich wünsche ihr auch beim virtuellen Mündigwerden eine spannende „digitale Pubertät“.