Vorlesen, weil das Handy zuhört

Täglich einige dutzend Buchstaben und ein bisschen gemeinsame Zeit. Vorlesen vergrößert den Wortschatz der Kinder, bringt ihnen später mehr Spaß beim Selbstlesen und laut Studie sogar mehr Empathie. Und Buchstaben gibt es in jedem Haushalt, in Bücher gebettet oder im Internet verlinkt. Trotzdem wird nur in zwei von drei Familien regelmäßig vorgelesen, brauchen die Schriftzeichen eine Lobby. Die Stiftung Lesen wirbt mit dem bundesweiten Vorlesetag seit 2004 regelmäßig für das Alphabet. In diesem Jahr war ich dabei. Mit meiner Stimme und Marias Worten. Ich las eine Geschichte vor, die Maria sich ausgedacht hat.

An ihrer Schulen wurden die Eltern der Drittklässler vorher gefragt, ob sie vorlesen würden. Und wenn ja, aus welchem Buch, welches Genre. Ich sagte zu und fragte Maria, ob sie nicht Lust hätte, dafür eine Geschichte zu erfinden. Hatte sie. Der Titel sollte „Der Dieb im Kunstraum“ sein. Schon im Bad erzählte mir Maria von dem Dieb. Doch ihre Worte verflogen. Würde ich sie aus meiner Erinnerung aufschreiben, wären sie verfälscht. Und so schnell tippen wie mein Kind redet, kann ich kaum. „Siri“ sollte Marias Geschichte festhalten und zu Papier bringen. Oder genauer gesagt, die Diktierfunktion auf meinem Smartphone.

Ich öffnete ein leere Notiz und zeigte Maria das kleine Mikrofon neben der Leerzeichentaste. „Da drückst du drauf und sprichst mit dem Handy und es schreibt auf, was du sagst“. Maria begann ihre Erzählung und kurz darauf war der erste Absatz eingefangen. Ohne Satzzeichen, weil jedes Mal „Punkt“ oder „Absatz“ und „Komma“ sagen, störte. Aber die könnte ich später einfügen. Manchmal verstand das Handy nicht genau, was Maria meinte und falsche Wörter erschienen. Aber meist tauchte auf dem Display eine geschriebene Kopie des Gesagten auf. Maria las aufmerksam mit und hätte jeden Fehler am liebsten tippend verbessert. Aber ich wollte, dass sie noch pünktlich ins Bett kommt und erklärte, ich würde das später machen.

Als ich neben meiner Tochter lag und ihr zusah, wie sie die Geschichte erzählend aufschrieb, wunderte ich mich. Zum einen über die Technik. Dass das Smartphone über das Mikrofon die Sätze aufnahm, an den Server sendete und der sie umgewandelt zurückschickte, in einer Zeitspanne, kaum länger als meine Finger zum Tippen brauchen.
Was mich aber noch viel mehr beeindruckt, ist die Fantasie meines Kindes.

P.S. Das Vorlesen war toll. Und danach haben die Drittklässler gemeinsam eigene Geschichten erfunden. "SOS Läusealarm" und "Osterhase rettetWeihnachtsmann". Es war toll zu sehen, wie viel Fantasie die Kinder haben.

P.S. Maria hat mir erlaubt, ihre Geschichte zu teilen. Zum Vorlesen.

Der Dieb im Kunstraum


"Ab in den Kunstraum“, sagte Frau Schlau zu den Kindern der 3e. Der war ganz oben in dem alten Schulgebäude der Grundschule. Die Kinder rannten die Treppe rauf, Erwin schubste dabei Linda von hinten. „Hey, Erwin lass das“, rief Linda. „Langsam“, sagte Frau Schlau. Nach einer kurzen Weile war die Klasse vor dem Kunstraum angekommen. Die Lehrerin kramte nach dem Schlüssel und fand ihn in ihrer rechten Hosentasche. Sie schloss die Tür auf und die Klasse stürmte hinein. Alle setzten sich und der Unterricht begann. Paul öffnete das Fenster.

Als der Unterricht fertig war, vergaßen sie das Fenster zu zumachen und gingen aus dem Kunstraum. Wenig später kletterte eine Maus durchs Fenster in den Kunstraum. Als sie all die leckeren Bilder sah, biss sie gleich in einen der Stifte. „Das ist ja so lecker. Schmeckt ja wie ausgewählte Schokolade oder grüne Spagetti. Wo haben die das nur her? Ich bin ja so neidisch. Und sie haben noch gar nicht davon probiert. Merkwürdig, merkwürdig, merkwürdig. Aber ist ja auch egal. Dann esse ich ihn eben ganz auf und sie kriegen nix mehr ab. Da haben sie nun Pech. Die hätten mir ja auch nix übrig lassen können, aber das haben sie nicht gemacht. Ich werde den Stift ganz aufessen und dann werde ich der Held der Esser sein“, dachte die Maus und knabberte am Stift.  „Ach, ich bin ja so satt. Ich kann nix mehr aufessen. Das ist ja so schade“, sagte sie nachdem sie den Buntstift aufgeknabbert hatte. „Aber warte mal, ich sehe ja ein leckeres Bild was da so rumhängt. Das ist meins. Aber wenn ich das alleine aufessen, werde ich bestimmt später so viel Bauchschmerzen haben, dass mein Bauch explodiert. Also bewacht ihr das und ich werde meine Freunde holen.  Das ist doch gerecht. Ihr wartet hier und ich werde meine Freunde holen. Und keine Widerrede! Okay, jetzt geh ich mal. Und wehe, wehe, wenn ich zurückkomme und da ist nur ein Kind“, meinte die Maus und dann kletterte sie auch schon aus dem Fenster. Hui.

Nach einer halben Stunde kam sie mit 50 anderen Mäusen zurück in den Kunstraum. Ja, das könnt ihr mir glauben - 50 weitere Mäuse. Sie futterten alles auf. Die Buntstifte, die Bleistifte, die Bilder, das Papier. Wenn die Kinder wieder kommen würden, hätten sie nichts mehr zum Malen und Basteln, alles war ja weg, also fast alles.
Am nächsten Tag war wieder Kunstunterricht, aber der begann mit einem erschrockenen „Ah, es ist ja alles weg!“ Wie sollten sie Unterricht machen? Und wer, war die große Frage, hat eigentlich die Stifte, die Bilder und das Papier verschwinden lassen?

Das mussten sie bald erfahren, als sie sahen, dass eine kleine Maus am offenen Fenster saß. Sie merkten gleich ihren vollgegessen Bauch und unten auf dem Schulhof sahen sie viele Mäuse mit vollgegessenem Bauch. Na klar, die Mäuse waren es. Wo kommt ihr denn her, fragten die Kinder. „Na wir wurden hier her geschickt, von einem Mann und einer Frau. Aber mehr werdet ihr auch nicht erfahren. Adieu, adieu bis zum nächsten Mal“, sagte die kleine Maus und sprang vom Fenstersims. Die Kinder fragten sich welcher Mann und welche Frau die hungrigen Räuber geschickt haben könnten. Sie rannten die Treppe runter auf den Schulhof und da stand dann ein Trampolin direkt unter dem Fenster vom Kunstraum. Dann sagte Paul: „Eine Spur!“. Die ganze Klasse wollte gucken. Die Kinder drängelten und schubsten und als alle dann einmal die Spur gesehen hatten, waren alle glücklich. Aber da war noch die große Frage, welcher Mann und welche Frau?

Sie machten sich auf die Suche nach den kleinen Mäusen und gingen der Spur nach. Die endete an einer Wand mit vielen Zahlen. „Was sollen die Zahlen bedeuten? Die Mäuse können doch nicht durch die Wand gehen.“ Da sagte Fritze: „Ich weiß es nicht. Weißt du's?“ „Nöö! Oder doch! Kann sein, ja ich weiß es, ich weiß es sind ja Zahlen. Vielleicht ein Zahlenschloss zu einer Geheimtür.“ Doch welche Zahl war die Richtige? „Vielleicht ist es ja die Anzahl von denen, die da rein gehen“, sagte Robert. „Und wie viele sind denn“, fragte Luise.
50 plus 1 ist gleich …. 51. Sie drückten die 51, doch nichts passierte. „Klar, Mäuse und Menschen. 51 + 2 ist gleich 53“, sagte Tom. „Dann müssen wir 53 eingeben.“ Dann gaben die Kinder 53 ein. Und tatsächlich! Quietschend öffnete sich plötzlich ein Spalt der Wand. Alle passten durch die Lücke, kletterten rein und als sie drin waren, krachte der Spalt hinter ihnen wieder zu. „Wie wir hier nur wieder rauskommen“, meinte Luise. Klaus sagte ängstlich: „Das ist wie ein unheimliches Labyrinth. Genauso sieht ein unheimliches Labyrinth aus.“ Um sie herum war es ganz hell, mit vielen Türen und Schlössern, Teichen und Gefahren.

Alle Kinder fassten sich ein Herz und gingen langsam in das Labyrinth. Plötzlich flog ein Zettel vor sie, wo mit großen Druckbuchstaben draufstand: „Hilf mir die Mäusekönigin wiederzufinden. Viele Grüße die Gefangene aus Kerker 6.“ Währenddessen standen ganz in der Nähe der böse Mann und die böse Frau in einem Zimmer und freuten sich. „Dieser Trick ist uns gut gelungen. Sie rennen ganz nach Plan in die Zelle.“ Als die Kinder im Labyrinth die Zelle 6 gefunden hatten und angekommen waren, die Tür öffneten und hineingingen, die Gefangene suchen, hörten sie ein lautes „Ha, ha, ha. Jetzt hab ich euch!“ Eine Frau mit grüner Jacke kam den Kindern entgegen und fünf Sekunden später saßen alle in der Zelle gefangen. 25 Kinder in einer minikleinen Zelle. „Schlimmer kann es nicht werden“, sagte Johann. Doch Klaus hatte eine Idee: „Ich bin ein Profi, ich weiß was wir tun müssen.“

Und er erzählte den Kindern den Plan. „Hört gut zu“, sagte er „wir stellen uns tot und sie wird uns aus der Zelle holen.“ Gute Idee, stimmten alle anderen Kinder zu und der Plan funktionierte. 5 Minuten später kam die Frau hinein, diesmal mit dem Mann, mit einem großen Stückchen Brot und einem Wasserhahn - frag mich nicht, wie man den Wasserhahn dann die Wand rein bekommen soll, aber das ist ja auch egal.
„Die sind ja alle tot“, sagte der Mann. „So haben wir wenigstens ein leckeres Abendbrot“, sagte die Frau. „Kinder mit Nudeln, Jamm Jamm“, sagte der Mann. Als sie kurz rausgingen, zu einem Geheimgespräch und nicht hinguckten, schlichen sich die Kinder alle raus. Tatsächlich waren alle rausgekommen. Nur Luise nicht. Sie war noch in der Zelle und gerade guckten der Mann und die Frau und schon sahen sie Luise. Da rannte Lorenz mit geballter Faust los, auf den Mann und die Frau zu und rief „Hakuna Matata!“ Die Frau schmiss ihn gleich mit in den Kerker. „So jetzt zufrieden?“, sagte sie böse. Die anderen Kinder rannten schreiend weg und dachten sich an einem anderen Ort ein Plan aus.
„Wir stürzen uns alle zusammen auf die beiden“, sagte Fenja. „Und dann fesseln wir sie“, sagte Oskar. „Aber womit“, fragte Lukas. Da hatte Fenja noch eine Idee: „Wir ziehen alle unsere Hosen aus und binden sie aneinander. Dann haben wir ein dickes Seil.“ Nicht alle fanden das eine gute Idee, aber sie wollten schließlich Luise und Lorenz aus dem Kerker befreien. Und so standen kurz darauf 23 Kinder in Unterhosen da. Nein es waren 22, denn Frederike hatte einen Rock an. Sie knoteten die Hosen aneinander und hatten dann ein langes, dickes Band. Damit schlichen sie durch das Labyrinth. Da kam plötzlich ein blaues Monster mit grauen Hörnern und lila Punkten auf sie zu und schrie ganz laut: „Helft mir, helft mir.“ Aber die Kinder dachten, dass es geschrien hätte, gleich habe ich euch. Und sie rannten weg.

Doch das Monster hatte einen erwischt und sagte: „Hilf mir. Bitte. Mein Zahn tut so weh, mein linker Backenzahn.“ Amaya wollte den Zahn mit der Hand raus ziehen. Da sagte Zoe: „Wir können ja das Hosenband an den Zahn machen und dann ziehen wir alle zusammen und dann wird der Zahn raus gezogen.“ „Gute Idee.“ Sie banden das Hosenseil um den Monsterzahn und alle halfen mit und mit einem Mal war der Zahn raus. Da war das Ungeheuer sehr dankbar und half den Kindern. Es fing den Mann und die Frau und hob sie hoch und die Kinder konnten die beiden ganz ohne Hindernisse zusammenbinden. „Warum sollten die Mäuse denn kommen und alles aufessen.?“ „Na, na, na, weil“, sagte die Frau. „Wir wohnen direkt neben der Schule und ihr Kinder seit immer so glücklich. Und das geht einem einfach auf die Nerven, wenn die ganze Zeit neben einem glückliche Kinder sind. Das wollen wir verhindern. Eigentlich wollten wir ja, dass sie nur die Klassenräume auffressen und nicht den Kunstraum.“ Da piepste es: „Ach so, jetzt beschuldigst du uns“, sagte die Chefmaus. Doch da meinte Annika: „Ist doch egal. Ihr kommt jetzt alle mit und das Monster soll bestimmen, was abläuft.“ Und so waren sich alle einig. Das Monster sagte: „Als Strafe müsst ihr das ganze Schulhaus anmalen.“ Da merken der Mann und die Frau wie viel Spaß das macht und wurden Maler. Aber es saßen immer ein paar in ihrem Haus und die Tür war abgeschlossen. Nur zur Sicherheit.