Wenn das Kind der Lehrer ist

Ein Kind ernsthaft um Rat fragen? Bisher erschien mir das übergriffig. Schließlich bin ich doch als Erwachsene per se diejenige, die sagen sollte, wo es langgeht. Diejenige, die mehr Wissen und Lebenserfahrung hat. Doch die Zeiten ändern sich. Massiv. Und wenn ich meiner Tochter auch in der digitalen Welt eine gute Mutter sein will, werde ich lernen müssen, mich vom klassischen Rollenbild zu verabschieden. Das wurde mir klar, als ich eine elfjährige Freundin von Maria traf.

Jahrhundertelang waren Eltern und Lehrer die Hüter und Vermittler des Wissens, hatten quasi per Definition Autorität. Den Kindern hingegen fiel die Rolle der Empfänger, der Schüler zu. Doch jetzt gibt es Instagram, Snapchat & Co. Digitale Welten, zu denen Erwachsene nur schwer Zugang finden, die für Heranwachsende aber von existenzieller Bedeutung sind und deren Klaviatur sie technisch im Schlaf beherrschen - im Gegensatz zu mir.

Weil Instagram bei Jugendlichen schwer angesagt ist, hatte ich mir dort ein Profil zugelegt und auch ein Foto unserer Katze gepostet. Das einzige übrigens. Obwohl ich gerne Twitter und Facebook nutze, hat sich das Bedürfnis, gefilterte Momente meines Lebens zu teilen, bei mir nicht eingestellt. Und so fristete die Social-Media-Foto-App ein relativ unbeachtetes Leben auf meinem Smartphone.

Für Marias elfjährige Freundin Amaya hingegen ist Instagram ein wichtiger Kommunikations-Kanal. Die beiden sehen sich selten und als Amaya und Maria vor kurzem miteinander spielten, hielt ich mit der Smartphonekamera einige Erinnerungsmomente fest. Am Ende des Tages sagte ich ihr, dass ich die Bilder ihrer Mutter schicken würden. Via Facebook, wo wir beiden einen zweisamen Chat unterhalten. „Kannst du mir die Bilder auch schicken? In Instagram?“, fragte Amaya, und ich war einen kurzen Moment irritiert.

„Kann ich dort auch Fotos senden, die nur du bekommst?“, fragte ich und wusste im gleichen Moment, dass ich mich mit dieser Frage völlig nackig gemacht hatte. Ich, die Erwachsene, hatte keine Ahnung! „Klar geht das, ist ganz einfach“, meinte Amaya und sah mich an. In diesem Moment konnte ich körperlich nachempfinden, wie es manchem Lehrer gehen muss, wenn seine Schüler vom WhatsApp-Klassenchat erzählen und er sich wie ein Aussätziger fühlt. Adieu Kompetenz! Willkommen... ja was eigentlich?

Was würde passieren, wenn ich das Kind zu meinem Lehrer machen würde? Da Amaya „nur“ die Tochter einer Freundin ist und ich keine ernsthaften Konsequenzen zu erwarten hatte, wagte ich den Seitenwechsel. „Kannst du mir beibringen, wie ich auf Instagram Fotos schicke?“  Die Elfjährige war eine geduldige Lehrerin und zeigte mir Schritt für Schritt, wie ich Fotos und Nachrichten privat senden kann. Es hat sie stolz gemacht, dass sie mir etwas beibringen konnte. Und sie war dankbar für die Anerkennung, die ich ihr dafür entgegenbrachte. 

An Autorität habe ich in ihren Augen deshalb höchstwahrscheinlich nicht verloren. Wir sind jetzt eher auf Augenhöhe und folgen uns auf Instagram. Ich glaube, wenn ich ihr raten würde, ein Foto zurückzuziehen, würde sie eher auf mich hören, als auf ihre Eltern. Denn die haben gar keine Ahnung von Instagram.