Mut, Mitgefühl und Elefanten

Foto: Maria

Ein Blog, den ich regelmäßig lese, ist kaiserinnenreich.de. Eine junge Mutter schreibt über das Leben mit ihren zwei Töchtern, eine davon mit einem seltenen Chromosomenfehler geboren. Die Journalistin erzählt von den schönen und den schweren Momenten mit den kleinen Kaiserinnen. Schwere Momente, die oft der Reaktion der Umwelt auf das Anderssein ihrer älteren Tochter geschuldet sind. „Ein Kind, vor dem sich alle werdenden Eltern fürchten. Sie ist das Kind, wegen dem pränatale Untersuchungsmethoden entwickelt wurden“, schreibt Mareice Kaiser in ihrem Blog, den sie begann, „um Sichtbarkeit zu schaffen für besondere Familien mit ihren Sorgen und ihrem Glück.“

Ihre Tochter kam schwer mehrfach behindert und taubblind zur Welt. Ich hätte mich bei dieser Diagnose vermutlich gegen das Kind entschieden und bewundere Mareice Kaiser für ihren Mut, dieses Schicksal zuzulassen. Wir sind uns nie begegnet, aber aus der Ferne lesend, ist mir die Familie ans Herz gewachsen.

Vor wenigen Wochen stand die vierjährige Kaiserin zum ersten Mal in ihrem Leben auf eigenen Beinen.  Um die Weihnachtszeit musste sie ins Krankenhaus. „Worte, wofür es keine Worte gibt“, twitterte @mareicares am letzten Tag des Jahres und verlinkte auf einen Eintrag in ihrem Blog. Dort stand ein „Wir sind Helden“-Liedtext. "Ich werde riesengroß für dich. Ein Elefant für dich. Ich trag dich meilenweit (…) Und am Ende des Wegs, wenn ich muss, trage ich dich über den Fluss“.  Danach der Satz „Am 30. Dezember 2015 ist unsere Tochter in unseren Armen eingeschlafen und gestorben.“

Ich schloss den Link reflexartig, wollte mein Gedankenkarussell stoppen. Die Kaiserin hat die Welt verlassen und ihre Mutter nur einen Tag später drüber im Internet. Warum verlangte sie sich das ab? Der Post würde viel geteilt und kommentiert werden. Es gäbe Anteilnahme,  Beileidsbekunden und jede dieser Nachrichten könnte das Smartphone zum Vibrieren bringen. Der Abschiedspost könnte auch Trolle anlocken, die „selbst schuld“ höhnen. Warum tat sie sich das im Moment des Verlustes an?

Vielleicht, weil sie sich dieses Mal mit aller Macht gegen das Schicksal stemmen wollte. „Alle leben, an die wir denken. Sie sind erst wirklich tot, wenn niemand mehr sich ihrer erinnert“, schrieb Hermann Hesse einst. Nach Mareices Blogbeitrag denken Tausende an die kleine Kaiserin. Sammeln sich bei Twitter unter dem Hashtag #EinElefantfuerDich Mitfühlende.

Als ich der kleinen Kaiserin bei Twitter das Bild eines Elefanten mit auf den letzten Weg schickte, fragte mich meine Tochter Maria, was ich da mache. Ich erzählte ihr von dem behinderten Mädchen, das nur vier Jahre bei seiner Familien leben durfte. Von ihrer kleinen Schwester, ihrem Papa und ihrer Mama, die um sie trauern.
Wir hörten das Lied vom Elefanten, redeten über das fremde Mädchen und ich versuchte, Maria aus dem Kaiserinnenreich vorzulesen. Es ging nur stockend, weil ich weinen musste. Ich weinte um ein Kind, für das mir vermutlich der Mut gefehlt hätte.

Mach's gut kleine Kaiserin: Berührende Abschieds-Beiträge gibt es auch bei Leitmedium, Riegelmiez, New Kid and The Blog und