Ich wollte Maria den Unterschied zwischen Gerücht und Nachricht spielerisch nahe bringen. Dazu hatten wir, als lustige Videos von sich vor Gurken erschreckenden Katzen ein Internet-Hit waren, bei unserem Kater den Gemüse-Test gemacht. Den hatte die Gurke überhaupt nicht interessiert.
Eine Katze anderer Art, der Maria im Internet und in der Zeitung regelmäßig begegnete, war Tiger Diego. Er war Mitte August vor der Haustür von Doris Tesch in einem Karton ausgesetzt worden – unterernährt und in einem erbärmlichen Zustand. Die Bernauer Tierärztin hatte schon als junges Mädchen im Kleintierzoo ihrer Eltern geholfen, Rehe und Eichhörnchen aufzuziehen, und davon geträumt, einmal einen Tiger aufzupäppeln. Dass Diego ausgerechnet vor ihrer Tür – vermutlich von Zirkusleuten – abgestellt worden war, muss Schicksal gewesen sein. Mit Flasche, Geduld und Herzblut päppelte Doris Tesch den kleinen Tiger auf, und meine Kollegen aus der Lokalredaktion besuchten die beiden regelmäßig. Die Artikel darüber brachte ich Maria mit.
Manchmal sahen wir uns auch im Internet die Videos dazu an. Im November wurde Diego zu groß für seine Kinderstube und ein neues Zuhause musste für ihn gesucht werden. In Tempelfelde hatte der Tierarzt Renato Rafael über Jahre mit viel Leidenschaft seinen Kindheits-Traum von einer eignen Raubkatzen-Aufzuchtstation verwirklicht. Seit vergangenem Sommer ist das Wildkatzenzentrum Felidae für Besucher geöffnet, und es gibt regelmäßig Führungen durch die Welt von Puma & Co. Zu Tiger Diego als neuen Mitbewohner konnte der Parkgründer Rafael nicht nein sagen, auch wenn das passende artgerechte Gehege noch gebaut werden muss.
Maria fragte immer wieder nach Diego. Ob er wirklich ausgesetzt worden war, wie es ihm ginge, ob er sich mit seiner neuen Freundin, dem Tigermädchen Heike, vertragen würde. Deshalb wollten wir ihn besuchen fahren. Dann erzählte mein Kollege, dass es einePressekonferenz geben würde, bei der Bernauer Händler Spenden für Diegos neues Gehege übergeben wollten. Die perfekte Gelegenheit. Maria würde den kleinen Tiger kennen lernen und erleben, wie Nachrichten entstehen.
Auf Foto-Jagd: Maria und die Profis
Als wir am Ende des Dorfes ankamen, lag das große Gelände unter eine dichten Schneedecke. Die Atmosphäre war herzlich und familiär. Im ausgebauten Dachgeschoss des Hauptgebäudes dankten die „Tiger-Eltern“ Renato Rafael und Doris Tesch den Unterstützern und Helfern. Maria hörte gespannt zu, beobachtete die Umstehenden, die Fotografen und die Kameraleute.
Dann kam der Moment, auf den sie gewartet hatte. Wir gingen nach draußen und Renato Rafael führte Tiger Diego an der Leine ins Außengehege. Kurz danach brachte er noch einen zweiten Tiger: Spielgefährtin Heike. Die beiden jungen Raubkatzen tobten ungestüm im Schnee, während vor dem Gehege Interviews gegeben wurden und die Kameras klickten. Maria nahm mein Smartphone, stellte sich neben die Profis und fotografierte mit. Tiger-Mama Doris Tesch im Zwiegespräch mit ihrem vierbeinigen Schützling. Diego und Heike beim herumtollen. Als der Handy-Akku leer war, wurde aus der Kinderreporterin wieder ein Mädchen, dass begeistert die Tiger beobachtete und durch das Gatter mit Schnee bewarf. Diego und Heike schien das zu gefallen. Sie kamen näher, und versuchten die Flocken mit dem Maul zu fangen, bevor sie auf ihren Schnauzen landeten.
Davon stand später dann aber nichts in der Zeitung und im Internet. Aber Maria könnte es hineinschreiben. Sie hat es ja wirklich erlebt. Und sie hat Zeugen dafür.
Tigermama Doris Tesch begrüßt ihren Kleinen. Foto: Maria
Diego und seine Spielgefährtin Heike. Foto: Maria
Mit Tigerpapa Renato Rafael auf dem Weg zum Außengehege-Spielplatz. Foto: Maria