Mit Katzenvideos durch hysterische Zeiten

Im Jahr 1938 gab es in Bezug auf das damals neue Massenmedium – das Radio – eine Überlappung von Erfindung und Wirklichkeit. Im Radio-Sender CBS hieß es in der Nacht vor Halloween, dass Außerirdische in Amerika gelandet sein. Ein Hörspiel. Orson Welles hatte den Science-Fiction-Roman „Der Krieg der Welten“ von Herbert George Wells fürs Radio adaptiert und als aktuelle Reportage inszeniert. Viele Hörer glaubten an die Invasion der Marsianer, riefen panisch beim Sender und bei Reportern an. Am nächsten Tag musste sich Orson Welles in einer Pressekonferenz für sein Werk entschuldigen: „Ich bin furchtbar geschockt, über die Auswirkungen.“ Angeblich hätte er nie damit gerechnet, dass die Hörer sein Mars-Monster-Märchen für bare Münzen nehmen würden.

Heute heißt das Massenmedium Internet – und die Überscheidungen von Fiktion und Wirklichkeit jagen fast täglich durchs Netz. Mit dem Unterschied, dass die Auswirkungen nicht mehr regional beschränkt sind, sondern sich sogar Regierungen einschalten können. Wie im Fall der russischstämmigen 13-Jährigen aus Berlin, die bei einem Freund übernachtete und am nächsten Tag erzählte, sie sei von Südländern entführt und vergewaltigt worden. Obwohl die Polizei für ihre Aussagen keine Anhaltspunkte fand, mobilisierte die Geschichte hunderte, die gegen Flüchtlinge demonstrierten und sogar der russische Außenminister schaltete sich ein. „Ich hoffe, dass diese Migrationsprobleme nicht zum Versuch führen, die Wirklichkeit aus irgendwelchen innenpolitischen Gründen politisch korrekt zu übermalen", erklärte Sergej Lawrow. Und sein deutscher Amtskollege antwortete keine 24 Stunden später, es gebe keinen Grund und keine Rechtfertigung, den Fall für "politische Propaganda" zu nutzen.

Am selben Tag versammelte sich die Weltpresse in Berlin vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, weil ein ehrenamtlicher Helfer in einem Facebook-Post vom Tod eines syrischen Flüchtlings berichtet hatte, der nach tagelangem Anstehen bei Kälte und Schnee fiebernd in der Notaufnahme einer Klinik an Herzversagen gestorben sein sollte. Nur gab er weder Klinik noch Name des Mannes preis. Und weder Feuerwehr, noch Polizei, noch Kliniken kannten den Fall. Am Abend gab der Urheber des Posts zu, sich alles ausgedacht zu haben. Er sei überlastet und betrunken gewesen.

Gerüchte – absichtlich oder versehentlich gestreut – und in einem noch jungen Medium verbreitet, werden zu Lawinen, bevor sie überprüft werden können. Orson Welles‘ Marsianer würden gut in diese hysterischen Zeiten passen. Wie bereite ich mein Kind darauf vor, ohne es komplett zu verschrecken?

Diese Frage beschäftigt mich schon eine Weile. Und bisher sind meine Antworten nur vage Versatzstücke. So versuche ich bewusst zwischen „ich glaube“ und „ich weiß“ zu unterscheiden, wenn ich auf ihre Fragen antworte. Und jedes „Ich glaube“, dass es so und so ist mit einem „aber ich weiß es nicht genau. Da muss ich mich erst schlau machen“ zu verbinden.

Als im Internet Videos von Katzen die Runde machten, die sich fürchterlich vor Gurken erschraken und in die Luft sprangen, sahen wir uns die lustigen Filmchen gemeinsam an. Der britische „Telegraph“ hatte dazu sogar einen Spezialisten zu Tierverhalten gefragt. Dr. Roger Mugford sagte, er glaube, die Angstsprünge der Katzen seien dadurch hervorgerufen, dass die Tiere nicht damit rechneten, nach dem Fressen eine Gurke hinter sich zu finden. Ich sagte Maria, es könnte auch sein, dass die Katzen trainiert worden waren, um lustige Videos zu drehen, die dann im Internet geteilt und berühmt werden.

Da wir einen Kater im Haus haben, wollten wir prüfen, wie er reagiert. Heimlich legten das Gemüse hinter ihn, als er fraß. Wir wissen immer noch nicht warum die Tiere in den Videos so ausflippten. Aber wir können mit Gewissheit sagen, dass sich unser Kater Null vor einer Gurke erschreckt.

Ob sie das später davor bewahrt, Gerüchte ungeprüft zu glauben und zu teilen? Ich weiß es nicht! Ich will aber versuchen, ihr den Unterschied zwischen Gerücht und Nachricht spielerisch zu erklären.

Unseren Kater machte um die Gurke nur einen kleinen Bogen.