„Alles fing an, als ich mich langweilte“, hieß der Vortrag, den Lola in Hamburg bei der diesjährigen Social Media Week hielt. Dabei erzählte sie auch von einer bei Jugendlichen angesagten App, die kaum einer im digitalaffinen Publikum kannte. Lola ist zwölf.
Ihr Lieblingsfilm ist Titanic, sie hört die Charts, Familie und Freunde sind ihr das wichtigste auf der Welt, in der Schule mag sie Mathe, Musik, Kunst, und Angelina Jolie ist ein Vorbild für sie. Ein ganz normales Mädchen im Teenager-Alter. Nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen. Unsicher im Stil, spielt sie mit Accessoires und Haarfarben. Es gab Lola zweimal im Raum. Einmal im rot-schwarz-kariertem Holzfällerhemd, mit leicht grünlichen Haaren und Hut. Einmal in graublond mit roten Lippen und fraulichem Shirt. Ein Mädchen stand im Raum, das andere im Internet. Lola hat einen eigenen Youtube-Kanal.
Unter „xthatguuurlx“ stellt sie selbstproduzierte Videos ins Netz, gibt Beautytipps oder erzählt aus ihrem Leben. Angefangen hat sie mit Youtube 2014, weil sie sich langweilte. Sie drehte mit Hilfe ihres großen Bruders ein Bastelanleitungsvideo, in dem nur ihre Hände zu sehen waren. Sie schnitt es, vertonte es, lud es im Internet hoch. Damals war sie zehn. Es machte ihr Spaß. Und sie produzierte noch mehr Videos, meist am Wochenende, auf dem Rechner ihres Vaters. Später wurden aus den Bastel-Hilfen Schmink- und Haarstyling-Tutorials. Sie kann routiniert Licht und Schärfen setzen, schneiden, Zwischentitel setzten, nachvertonen und mit Greenscreen-System nachträglich Hintergründe einfügen. Ich könnte nicht die Hälfte davon.
Noch mehr beeindruckte mich aber ihr digitaler Lebenslauf. Wie eine Nomadin war sie von App zu App gezogen, hatte sich in neuen virtuellen Umgebungen zurechtfinden müssen. Moviestarplanet war als Siebenjährige ihr erstes Zuhause. Eine comicartige Welt, vornehmlich für junge Mädchen, in der sie sich als Star fühlen können: Ihre Moviestar-Figur als Avatar selbst erschaffen und einkaufen, Räume verschönern oder kleine Filme drehen und in Chat-Räumen mit anderen kommunizieren lassen. Wie in vielen virtuellen Spielewelten ist die Anmeldung gratis, aber es gibt im Spiel zahlreiche Möglichkeiten, für echtes Geld virtuelle Dinge zu shoppen. Lola schätzt, dass sie dort ungefähr 60 Euro ausgab.
Mit den Jahren verflog der Reiz und sie zog 2012 weiter. Zu Facebook. Erst heimlich mit einem Pseudonymprofil, dann mit einer Adresse unter ihrem eigenen Namen. „Anfangs war ich geschockt“, erzählte Lolas Vater Thies Arntzen bei dem Vortrag seiner Tochter. Und brachte das Elterndilemma mit Humor auf den Punkt: „Sie postet Fotos von sich. Das darf doch eigentlich nur ich.“ Statt auf Verbote setzte er auf Unterstützung. Er half ihr beim Facebook-Umzug, zeigte ihr die Sicherheitseinstellungen und sorgte für die größtmögliche Privatsphäre. Um sie zu beobachten, freundete er sich via Facebook mit ihr an.
Schon bald wurde Lola diese Welt zu klein. 2013 sah sie sich auch bei Instagram um. Unter einem nicht öffentlichen Account postete sie dort Fotos ihrer Familie und Stillleben aus ihrem Alltag. Weil sie häufig den Passwort-Schlüssel vergaß, stellte sie immer wieder neue Zelte auf. Insgesamt sieben Profile hat sie sich mit der Zeit angelegt. Eines ist seit kurzem für jedermann einsehbar. Über 500 Abonnenten können dort einige wenige Momentaufnahmen von ihr sehen. Posierend, aber auf Privatsphäre bedacht. „Dort geht es nur um mich“, sagte die Zwölfjährige selbstbewusst.
Doch auch bei Instagram wurde Lola nur bedingt sesshaft. 2014 begann sie dort, wo sie sich Rat, Tipps und Information suchte, einzurichten. Bei der Videoplattform Youtube. Ein Jahr später kamen auf ihrem virtuellen Stadtplan der Messangerdienst WhatsApp und Snapchat dazu. Anfangs als böse „Sexting“-App geächtet, versuchen bei Snapchat inzwischen auch große Medienhäuser mit Fotos oder -Videostrecken, die sich nach kurzer Zeit löschen, Nachrichten zu verbreiten.
Lola werden sie dort nur noch selten antreffen. Die ist gerade lieber bei musical.ly unterwegs. EinMusik-Video-Netzwerk, von dem nur einer der Social-Media-Week-Zuhörer überhaupt ahnte. Dort kann man eigene Kurz-Videos drehen. Eine Art stummes Karaoke-Singen. Stimme und Sound sind von bekannten Interpreten, Outfit und Bewegungen authentisch.
Auch beim Streamingdienst Younow schaute Lola kurz vorbei. Sendete Lebensmomente live aus dem Jugendzimmer hinaus in die Welt. „Aber da treiben sich viele Pädophile rum“, erklärte sie uns. Einmal hätte sie mit einer Freundin gestreamt und sie seien gefragt worden, ob sie ihre „Möpse“ zeigen. Die Mädchen reagierten mit: „Wir haben hier nur Dackel“ und blockierten den Mann.
Für ihr öffentliches Online-Leben schien Lola gut gerüstet zu sein. Auch für den Umgang mit fiesen Kommentaren. Sie konnte mit ihren Eltern darüber reden und bekam den Rat, diese wie Geschenke zu sehen: „Die musst du nicht annehmen, wenn sie dir nicht gefallen.“
Doch das scheinbar private Leben im World Wide Web machte ihr Probleme. Rückblickend bereut sie nur ihren frühen Einzug bei WhatsApp. „WhatsApp hat mir ein bisschen meine Kindheit zerstört.“ Weil es dort zu einigen hässlichen Chats unter Freundinnen kam. „Online kann man sich besser streiten, weil man sich mehr traut.“ Dass das aber auch zu größeren Problemen führt, musste sie schmerzlich lernen.
Als Lola von ihrem virtuellen Leben erzählte, hatte sie reale Unterstützung an ihrer Seite: Ihre Familie und eine Freundin.