In der aktuellen Titelgeschichte des „Sterns“ (6/2015) „Kinder fordern: Eltern erzieht uns!“ kommen Wissenschaftler des Rheingold-Instituts zu der These: Die kindliche Lust am Computerspiel sei keine Verweigerung der Realität, sondern Ausdruck einer Sehnsucht nach Stabilität. Ich habe lange über den Artikel nachgedacht.
Grundthesen der „Stern“-Geschichte sind, dass Eltern verunsichert und gestresst sind, den Kindern zu wenig Regeln und zu wenig ungeteilte Aufmerksamkeit geben. Die Welt der Kinder würde so unübersichtlich. „Ohne Leitplanken. Ohne Kompass.“ Das sei die „wahre Überforderung der Heranwachsenden“. Beim ersten Lesen dachte ich: Toll, endlich sind wieder mal die Eltern schuld! Dabei gab es in dem Artikel auch Momente, in denen ich mich wiederfand. „Meine Mutter macht immer irgendwas“, hätte wahrscheinlich auch von meiner Tochter sein können. Oft scrolle ich beim „Sandmann“ beiläufig durch meine Mails, packe nebenher die Waschmaschine voll oder stopfe Löcher in Kuscheltieren. Aber ist deshalb aus einem Miteinander ein Nebeneinander geworden, wie in dem Artikel behauptet wird?
Etwas später heißt es: „Eltern fühlen sich selbst auf dem Prüfstand und den Anforderungen nicht mehr gewachsen, denen sie als Eltern gerecht werden sollen.“ Wen wundert's! Wer es schafft, das Ratgeber-Bombardement a la „Jedes Kind kann...“ ohne Schuldgefühle zu ignorieren, verdient einen Orden. Und dann gibt es ja auch noch die Vorsorge- und Schuluntersuchungen, bei denen Kinder auch auf „Norm“-Muster geprüft werden und „Förderbedarf“ verschrieben werden kann.
Dazu ein Füllhorn an Möglichkeiten der unterstützenden Kindererziehung, von zweisprachigen Kita bis Waldorf-Schulen. Der Psychologe und Instituts-Leiter Stephan Grünewald meint: „Der Preis unserer Freiheit ist, dass wir uns in der multioptionalen Welt verzetteln.“ Eine Feststellung, keine Möglichkeit. Hätte er „verzetteln können“ gesagt, hätte ich den Satz unterschrieben. So war er mir zu urteilend. Auch seine Schlussfolgerung: „Kinder brauchen wieder richtige Eltern“, stieß mir auf. Ja, Kinder brauchen Werte, Grenzen, Regeln und Zeit. Das ist es, glaube ich, was er meint. Aber warum denn schon wieder einen Wertung. Warum nicht Mut machen? Wie mit Grünewalds Aussage zu PC-Spielen.
„Computerspiele muss man neu bewerten. Sie sind eine Erweiterung unserer Realität, aber auch ein Angebot, sich in festen Rahmen zu bewegen." Sie sind also nicht grundsätzlich „böse“ oder „falsch“. Wenn ich ehrlich bin, spiele ich aus denselben Gründen gern mal eine Runde Solitaire.