Der Satz „Mama, frag doch das Internet“ gehört zum Standardwortschatz meiner Siebenjährigen. Dann googeln wir gemeinsam Fragen wie „Müssen Bienen auf Toilette?“ oder sie sucht bei Kinderseiten wie BlindeKuh oder FragFinn nach Antworten. Noch erinnert ihre digitale Recherche an die analoge Lexikonzeit. Doch im Internet hat die Suche ein mächtiges Schwert bekommen: Das Doppelkreuz, auch Hashtag genannt. Damit kann man in sozialen Netzwerken nicht nur Antworten finden, sondern auch Wortspiele starten, Themen setzen oder Massen mobilisieren.
Maria ist das Doppelkreuz schon manchmal bei den Logo-Kindernachrichten aufgefallen – aber mir fehlte die Fantasie, ihr das Phänomen kindgerecht zu erklären. Bis mir das Internet #einbuchfuerkai in die Twitter-Timeline spülte und ich beschloss, Maria damit von der magischen Kraft der Suche zu erzählen. Denn die wahre Geschichte dahinter hat etwas von einem modernen Märchen:
Vor über neun Jahren schrieb der Autor Kai-Eric Fitzner einen Roman. Keinen besonders erfolgreichen. Er lebte sein Leben und war glücklich. Dann wurde er krank, fiel ins Koma und seine Frau schrieb darüber im Internet. Auf Facebook bat sie die virtuellen Freunde, den alten Roman zu kaufen und so die Familie zu unterstützen. Ein Bekannter sah den Hilferuf, schrieb darüber und stellte den Beitrag mit dem Hashtag #einbuchfuerkai zurück ins Internet.
Die vorgestellte Raute funktioniert dort wie ein Netz, das alle dazu geschriebenen Einträge, auch Tweets genannt, zusammenhält. Jede öfter #einbuchfuerkai weitergeschickt (retweetet) wurde, ein neuer Gedanke oder Genesungswunsch mit #einbuchfuerkai dazukam, desto weiter wurde das Netz. Weil in sozialen Netzwerken jeder Nutzer unterschiedlich viele Freunde oder Anhänger (Follower) hat, die seine Nachrichten sehen und weiterschicken können, kann sich eine Idee im Netz vertausendfachen und explosionsartig an Bedeutung gewinnen. Immer mehr Menschen erfuhren so vom Schicksal der Familie und kauften den Roman. Fitzners Buch wurde durch den Suchbegriff und das Mitgefühl ein Bestseller. Inzwischen ist Kai-Eric Fitzner aus dem Koma erwacht und seine Frau hat ihm von der Solidaritätswelle im Internet erzählt. Sie gibt ihnen Kraft.
Bevor Maria allerdings ihren ersten Hashtag in der virtuellen Welt aussetzen darf, muss sie auch wissen, dass die Raute genauso dunkle Mächte anziehen kann. Denn eine Hashtag-Geburt bindet auf ewig an eine Haltung und macht diese für alle sichtbar. Das wiederum kann sogenannte „Trolle“ anziehen: Menschen, die in der Anonymität des Internets Häme und Hass verbreiten. Sie können eine Idee sogar kapern und verbiegen, denn bei Twitter & Co.erscheinen die Beiträge nicht nach Beliebtheit oder Relevanz sortiert, sondern nach der Eingabezeit.
Auch der Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüşay wurde ihr Hashtag entstellt. Die Muslima wollte eine Debatte über Rassismus im Alltag anstoßen und erfand mit Freunden im Jahr 2013 #schauhin. Als ihre Idee größer wurde und Medien darüber berichteten, begannen Neonazis unter dem Antirassismus-Hashtag #schauhin beleidigende und und rassistische Kommentare zu posten. Sie entrissen Kübra ihr virtuelles Schwert und besudelten es.
Es braucht verdammt viel Haltung und Selbstvertrauen, sich davon nicht einschüchtern zu lassen. Kübra Gümüşay hat beides und transformierte ihre Idee in die reale Welt: Inzwischen gibt es regelmäßig #SchauHin Story-Salons, wo Menschen über ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus erzählen können.